Mitteilung | 25.08.2016

News zum Projekt Alpensinfonie

Artikel aus dem Programmheft des „Rheingau Musik Festival“

„Einen Berg zu besteigen, ihn zu malen, ein Gedicht dazu zu verfassen oder eben Musik – daran ist nichts Ungewöhnliches. Interessant im Sinne der Kunst ist nur, was ein entsprechendes Kunstwerk über die reine Aktion hinaus vermittelt.“  *Gerhard Widmen

Als das Landesjugendsinfonieorchester Hessen 2015 auf mich zukam und fragte, ob ich eine Aufführung der Alpensinfonie von Richard Strauss zum 40jährigen Jubiläum des Orchesters mit Videosequenzen begleiten wolle, zögerte ich zunächst mit der Zusage. Vor Jahren hatte ich das Werk in einem Konzert gehört, und es hatte einen mich überwältigen Eindruck hinterlassen. Ich bat deshalb um etwas Bedenkzeit und begann im Internet Einspielungen dieser Sinfonie anzuhören. Interessanterweise fand ich dort nicht nur Videos, die Dirigenten und große Orchester zeigten, sondern auch viele Clips, in denen die Sinfonie mit Fotografien von Berglandschaften unterlegt war.

Sie waren ausnahmslos nach dem gleichen Schema gestrickt und ordneten den 22 bildhaften Satzbezeichnungen der Sinfonie mehr oder weniger analoge Bilder zu, ein Gletscherfoto dem Titel „Auf dem Gletscher“ oder ein Wasserfallmotiv dem Titel „Am Wasserfall“. Je mehr ich von diesen auf der Hand liegenden Bebilderungen sah, und je besser ich die Sinfonie kennen lernten, desto klarer wurde mir, diese Musik ist kein Bilderbuch, sondern in erster Linie eine Sinfonie, auch wenn einige wenige musikalische „Bilder“ in ihr aufscheinen. Ich würde also mit dem gewünschten Video einen anderen Weg gehen. Mein Interesse an der Alpensinfonie war geweckt, ich sagte dem Landesjugendsinfonieorchester Hessen zu und kündigte an, keine Bergmotive für den Film zu verwenden.

Seit alters her benützt die Kunst Bilder, die als Metaphern nicht für sich selbst stehen, sondern symbolhaft auf etwas hinweisen. Das geschieht nicht nur in der Lyrik oder in der Malerei, sondern etwas verborgener auch in der Musik. So galt es, trotz 22 bildhaften Titel, die Strauss nachträglich in die Partitur seiner Sinfonie schrieb, die Sinfonie nach einer allgemeineren, das Alpenpanorama übergreifenden Metapher zu hinterfragen.

Strauss arbeitete an dieser Sinfonie mit langen Unterbrechungen mehr als ein Jahrzehnt unter dem Arbeitstitel „Der Antichrist, eine Alpensymphonie“, ein Titel, den er bis zur Vollendung der Sinfonie am 5. August 1913 beibehielt. Die Uraufführung des Werkes fand 1915 unter Leitung des Komponisten in Berlin statt.

Ursprünglich sollte die Sinfonie der erste Teil eines vierteiligen Mammutwerkes werden. Sucht man in ihr nach tradierten Strukturen einer klassischen Sinfonie, stößt man auf ein verwirrendes Geflecht von symphonisch durchgearbeiteten Themen. „Die Form der Sinfonie ist in stärker reflektierter und gebrochener Weise verwendet, indem ihre Elemente vereinzelt auftreten und ihres tradierten Zusammenhangs ironisch beraubt sind.“ (Rainer Bayreuther, Zur Entstehung der Alpensinfonie von Richard Strauss, Archiv für Musikwissenschaft, 1994).
Mehr zum Projekt: FILMPROJEKT: ALPENSINFONIE – GRATWANDERUNGEN DES LEBENS